Hinweis: Dieser Text wurde anlässlich der US-Premiere der Serie "Justified: City Primeval" erstmalig veröffentlicht. Ab heute (6. September) ist die komplette Staffel bei Disney+ abrufbar.
Die beste Neowestern-Serie der letzten fünfzehn Jahre ist natürlich nicht
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Diejenigen, die "Justified" gar nicht oder aber aus genanntem Grund nie zu Ende gesehen haben, seien hier kurz auf den aktuellen Stand gebracht: 78 Episoden lang ermittelte Givens in seiner Heimatregion Harlan County gegen Mobster, kriminelle Familien und andere Übeltäter, mit Stetson-Hut auf dem Kopf und lockerem Finger am Pistolenabzug. In der südöstlichsten Ecke von Kentucky kollidierte Givens' Sinn für Gerechtigkeit regelmäßig mit Recht und Gesetz, der Graubereich dessen, was Gesetzeshütern gerade noch so erlaubt ist, erwies sich dort als besonders großflächig. Die Serie spielte zwar in der Gegenwart, war aber konzipiert wie ein Western, und Olyphant zelebrierte die rücksichtslose Coolness vergangener Cowboyhelden. Ganz am Ende, nach einem der wohl besten Serien-Finals der letzten Dekaden, hatte Givens alles erledigt, was in Harlan County zu erledigen war. Frisch Vater geworden, zog er zurück nach Florida.
Zurück nach Florida? Ja, denn dort lebte Givens schon zu Beginn der Serie. "Justified" erzählte also die Geschichte einer provisorischen Rückkehr in die Gegend, in der Givens aufgewachsen war. Grund für diese Konstruktion war die literarische Vorlage der Serie: die Kurzgeschichte "Fire in the Hole" des schon vielfach verfilmten Kult-Krimiautors Elmore Leonard (
Wir wissen nicht, was der vor zehn Jahren verstorbene Leonard wohl dazu gesagt hätte, dass als Vorlage für das Sequel nun ein völlig anderer seiner Romane benutzt wurde, denn in "City Primeval" von 1980 (deutscher Titel: "High Noon in Detroit") kommt Givens gar nicht vor. Ohne den "Justified"-Showrunner Graham Yost, der nur als Executive Producer mit von der Partie ist und ansonsten genug mit seiner aktuellen Serie
Erfreulicherweise aber ist die Sache gelungen. Vor allem liegt das an Olyphants unverwechselbarer Interpretation der Hauptfigur. Inzwischen ordentlich grau geworden, schafft es immer noch mühelos, diese so unverwüstliche wie unwiderstehliche Mischung aus bübischem Charme, No-Nonsense-Mentalität und weißzahnigem Coolness-Grinsen, das selbst in brenzligsten Situationen nie weichen will, auf den Bildschirm zu bringen. Je freundlicher seine Dialoge mit den Halunken und Killern in "Justified" wurden, desto wahrscheinlicher wurde bekanntlich der nächste Schusswechsel. Olyphant, der vor "Justified" ja schon ganz andere Westernmeriten erwarb (in
Die Staffel beginnt, wie schon die Mutterserie, in Florida, wohin Givens im Finale von "Justified" zurückgekehrt war und wo er seither seinen Pflichten nachgeht, sowohl als harter, aber gerechter U.S. Marshal wie auch als Vater seiner inzwischen fünfzehnjährigen Tochter Willa - gespielt von Olyphants tatsächlicher Tochter Vivian in ihrer ersten Fernsehrolle. In typischer Elmore-Leonard-Erzählmanier kommt es dann zu einer absurden Kettenreaktion zufälliger Vorkommnisse: Ein Zwischenfall mit halbstarken Räubern aus Michigan mitten in den Everglades führt dazu, dass Givens vor einem Gericht in Detroit aussagen muss, wohin er Willa mitnimmt, die eigentlich in ein Camp für jugendliche Missetäter hätte gebracht werden sollen (sie hatte einen Mitschüler verprügelt und kommt offensichtlich genau nach dem Papa).
Vor Gericht gerät Givens dann nicht nur mit dem autoritären Richter (Gastaufritt von Keith David), sondern auch mit Carolyn Wilder aneinander, der alerten Rechtsanwältin des Räubers (Aunjanue Ellis aus
Im Zentrum des Falls, der erst zu einem werden muss, steht der soziopathische Verbrecher Clement Mansell, den alle nur den "Oklahoma Wildman" nennen und den sein Darsteller Boyd Holbrook (
Für Givens bedeutet das neue, betont urbane Setting dabei auch, dass er sich an eine ganz neue Umgebung anpassen muss. Sein neues Leben als Vater (bzw. als Teilzeitvater, denn Willas Mutter lebt mit einem anderen Mann zusammen) hat dazu geführt, dass er mehr auf die Konsequenzen seiner Handlungen achtet als noch zu "Justified"-Zeiten. Auch mit der neonkühlen Abgerocktheit der ehemaligen "Motor City" Detroit fremdelt er merklich. Als sich einer seiner neuen Kollegen bei der Festnahme eines Verdächtigen noch brutaler anstellt, als Givens es zu tun pflegt(e), prahlt er in die Richtung des Neulings: "So machen wir das hier in Detroit." Wild-West-Regeln herrschen offenbar nicht nur in Kentucky.
Wer aber mit Givens zusammen ermittelt, muss sich traditionell mit der Rolle des Stichwortgebers abfinden. Auch in "Justified" war das damals ein eher undankbarer Job - was sicher nicht an den Darstellern lag. In "City Primeval" wird Givens von drei Kollegen des Detroit Police Departments (DPD) unterstützt: Maureen Downey (Marin Ireland,
Holbrook gibt sich als Antagonist Mansell Mühe, den leeren Platz von Walton Goggins' "Justified"-Charakter Boyd einzunehmen: Es gibt kaum eine Szene zwischen ihm und Givens, in dem sie sich nicht sofort an die Gurgel gehen oder so etwas wie ein Duell im Morgengrauen planen wollen. Komplettiert wird der Haupt-Cast durch Vondie Curtis-Hall (
Sofort stellt sich in den ersten Episoden der bekannte "Justified"-Flow ein, aber auch das typische Elmore-Leonard-Gefühl. Gelegentlich dämmert zwar durch die Szenen hindurch, dass der immer auch reaktionär auslegbare Ein-Mann-muss-tun-was-ein-Mann-tun-muss-Gestus des klassischen Westerns, der hier ins Großstadtsetting übertragen wurde, ein bisschen aus der Zeit gefallen ist - doch die Macher sind sich dessen durchaus bewusst und erlauben sich sogar schelmische Verweise auf die zur Seifen(pferde)oper neigende Konkurrenz: Mit Kevin Costner aus "Yellowstone" würde sie ja sofort ins Bett springen, bekennt eine Freundin von Carolyn Wilder einmal, wenn auch in einer deutlich derberen Formulierung als hier wiedergegeben.
Die fantastische Besetzung, Michael Dinners flüssige Regie und Olyphants Charisma sind am Ende jedenfalls die halbe Miete in dieser unbedingt sehenswerten Neuauflage. Nicht ausgeschlossen also, dass aus der einmaligen Miniserie eine längerfristige Unternehmung werden könnte. Falls die Macher also irgendwo noch ein weiteres Elmore-Leonard-Buch finden, in das sie die Givens-Figur nachträglich hineinschreiben können: nur zu!
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "Justified: City Primeval".
Meine Wertung: 4/5
"Justified: City Primeval" hat aktuell seine Weltpremiere in den USA bei FX. Das zehnteilige Format ist dabei zunächst als Miniserie angekündigt gewesen. Disney+ hat den 6. September als Termin für die Deutschlandpremiere angekündigt.